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Impuls zum 16. April 2023

Zum 2. Ostersonntag

Von Susanne Warmuth, Geistliche Beirätin im Diözesanverband Würzburg

Kritik und Nachfragen erwünscht
In meinem Schlusszeugnis aus der 8. Klasse steht in der Wortbeurteilung der Satz: Die kritische Schülerin stellte viele Fragen. Ich erinnere mich daran, dass mich diese Beurteilung damals sehr gefreut hat, denn ich war mir nicht sicher, ob alle Lehrer:innen meine Fragen und kritischen Bemerkungen immer gut fanden. Aber der Klassenlehrer von damals hat sie gewürdigt.  

Viele Jahre war ich selbst als Religionslehrerin tätig. Konstruktiv kritische Fragen von Schüler:innen habe ich sehr geschätzt und gefördert.

Der „ungläubige“ Thomas, der erst einmal seine Zweifel äußert und alles selbst herausfinden will, ist mir seit meiner Jugend immer sympathisch gewesen.

Evangelium - Joh 20, 19 - 29
19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. 

24 Thomas, der Didymus genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. 26 Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! 27 Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Gedanken zum Evangelium: Der Zweifel und die Freiheit
Thomas ist nicht bei den Jüngern, als Jesus nach seiner Auferstehung in ihre Mitte kommt.
Als ihm von der Begegnung berichtet wird, ist er erst einmal skeptisch. Wenn ich nicht mit eigenen Augen sehe, glaube ich nicht, so drückt er seinen Zweifel aus. Er nimmt es in Kauf, seine Freunde  
zu kränken, da er ihren Worten und Erlebnissen nicht vertraut. Auch die Möglichkeit, aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, hält ihn nicht ab. Thomas bleibt bei seinem Zweifel. Er will der Sache selbst auf den Grund gehen, will sich selbst von den Tatsachen überzeugen.

Die Gemeinschaft der Jünger erträgt seinen Zweifel. Er wird nicht ausgeschlossen, sondern ist bei der nächsten Versammlung wieder dabei. Und Jesus kommt dem Wunsch von Thomas nach, ihn persönlich berühren zu dürfen. 

Die biblische Erzählung vom skeptischen Thomas ist für mich eine Erzählung über die Freiheit.
„Wo es Zweifel gibt, gibt es Freiheit“, schrieb der römischer Schriftsteller P. Syrus. Ich möchte sogar sagen: nur wo es Freiheit gibt, ist es auch möglich, einen Zweifel laut auszusprechen. 

In der Religion muss es die Freiheit des Geistes und des Denkens geben (und damit auch des Zweifels und der Kritik). Wenn es nicht so ist, dann handelt sich um eine fundamentalistische Religion oder Weltanschauung, die Gehorsam und Gleichklang verlangt. Auch für die Politik gilt das. Wenn Kritik oder Skepsis geahndet werden, dann ist es nicht weit her mit der Freiheit des Einzelnen. In unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation gibt es viele Bereiche, in denen Zweifel laut werden. Wie ist es mit dem Pazifismus? Kann er angesichts eines Krieges in Europa überleben? Sollte er besser vermittelt werden?  –  Sind die politischen Anstrengungen angesichts der Klimakrise hinreichend und zielführend? – Helfen uns Denkmodelle der vergangenen Jahre, um für die aktuellen Probleme und die drängenden Zukunftsfragen gerüstet zu sein?
Kritisches Nachfragen und das Zweifeln an schnellen Lösungen und scheinbar richtigen Meinungen der Mehrheit, das sind erste Schritte zu einer anderen Perspektive, zu neuen Lösungsansätzen. 

Was den Glauben betrifft, so bin ich überzeugt, dass der Zweifel das Vertrauen nicht ausschließt. Ich meine sogar, sie gehören zusammen, bedingen sich gegenseitig. Und irgendwann muss man den Sprung wagen. „Vertrauen und Zweifel teilen sich den Weg.“ (Andrea Gerlach).  Ich bin sicher: der Glaube des Thomas wurde durch seine Zweifel stark und belastbar.

Gebet
Du Gott, der mir Freiheit schenkt 
Wie Thomas bin ich froh über meine Freiheit.
Ich frage nach, gehe Dingen auf den Grund, erlaube mir Zweifel.
Du Gott, der mir Freiheit schenkt
Lass mich auch an die mögliche Kehrseite des Zweifels denken,
an eine übertriebene Skepsis, die alles hinterfragt, 
und manchmal mehr zerstört als aufbaut.
Du Gott, der mir Freiheit schenkt
Gib mir den Geist der Unterscheidung,
damit ich spüre, wann Zweifel angesagt und hilfreich ist,
und wann ich Vertrauen in andere Menschen und ihre Erfahrungen wagen sollte.
Du Gott, der mir Freiheit schenkt
Lass mein Vertrauen in Dich und Deine Treue wachsen.